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"Die
Tageszeitung (taz)" vom 28.September 1998 |
BAYERN-FANS SIND FEIGLINGE
Eine Polemik aus gegebenem
Anlaß.
Jeder Fußballfan weiß es intuitiv. Es ist nicht nötig, es auszusprechen. Keiner
zweifelt daran. Und doch gibt es das Bedürfnis, es ein für alle Mal festzustellen: Es
gibt keine Bayern-Fans. Ohne Zweifel, es gibt Menschen, die sich einbilden, Fans von
Bayern München zu sein. Ihrem äußeren Verhalten nach könnte man sie auch als solche
wahrnehmen. Sie tragen die Trikots ihrer Mannschaft, jubeln bei Treffern für ihr Team,
lesen in der Zeitung jede noch so unwichtige Meldung über ihren Verein und fiebern dem
nächsten Spieltag entgegen. Aber ihnen fehlt doch das Eigentliche, die Essenz des
Fan-Seins: Verzweiflung.
Es gibt keine Anhänger des FC Bayern, die jemals von diesem Gefühl gepackt wurden. Über
Tage hinweg wie gelähmt zur Arbeit zu gehen, im Kopf nur der Gedanke an die drohende
Niederlage, das endgültige Aus, den Abstieg, den verpaßten Aufstieg oder UEFA-Cup-Platz.
Bayern-Anhänger haben immer eine Gewißheit, die sie immun macht gegenüber jedem Gefühl
der Angst und der Ausweglosigkeit. Sie wissen, ihr Klub kann jede verpaßte Chance
nachholen. Wenn nicht diesmal, dann eben nächste Saison. Was soll's, wir holen uns schon
die richtigen Leute.
Es gibt keinen Bayern-Anhänger, der jemals mitansehen mußte, wie sein Team zum sechsten
Mal in Folge verliert. Kein Bayern-Anhänger saß jemals zitternd vor dem Radio und
fürchtete sich davor, daß der Reporter ein Tor aus einem Stadion verkündet, in dem sein
Klub gerade das überlebenswichtige 0:0 über die Zeit zu retten versucht. Ein Erlebnis,
das am Samstag den Fans des VfL Wolfsburg, sofern es diese geben sollte, zuteil wurde, als
Elber in der 87. Minute doch noch traf - für Bayern, versteht sich.
Natürlich, Bayern hat schon bittere Niederlagen hinnehmen müssen, etwa 1982 im
Europacup-Finale gegen Aston Villa. Oder 1987 gegen Porto. Mehrfach wurde die
Meisterschaft knapp verpaßt. Aber dieses Gefühl, das 30.000 Werder-Fans ergriff, als
Kutzop den Elfmeter an den Pfosten setzte, werden Bayern-Anhänger nie erleben. Kein
Bayern-Anhänger wird je verstehen, was die Frankfurter Fans 1992 durchlitten, als ihr
Team in Rostock die Meisterschaft verspielte. Dieser Aspekt der verzweifelten Hingabe
fehlt jedem, der sich für den FC Bayern entschieden hat. Und höchstwahrscheinlich ist es
gerade das, was diesen Verein für Millionen Menschen so attraktiv macht.
Der natürliche Grundzustand des Bayern-Anhängers ist also nicht Verzweiflung, das
Gefühl der Ausweglosigkeit und Schwäche, sondern Bayern-Anhänger leben in einem
Ausgangszustand der Arroganz und Überlegenheit. Verzweiflung wegen und durch ihren
Fußballclub ist diesen Menschen vollkommen fremd. Bayern-Anhänger sind keine
Fußballfans, sondern Feiglinge, unfähig zu wahrer Hingabe, die das Risiko einschließt,
tief enttäuscht zu werden.
Johannes Keller
taz Nr. 5646 vom 28.9.1998 Seite 18 Leibesübungen 89 Zeilen
Kommentar Johannes Keller
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